„Man kann selbstverständlich und auch gut vom Übersetzen leben.“
Thema: | Sprachwissenschaft, Sprachenindustrie, Translationstechnologie |
Umfang: | 6956 Zeichen |
Geeignet für: | Referenzartikel |
Bisher erschienen in: | Die Rheinpfalz, 2015 |
Interview: Professor Christoph Rösener verbindet Sprachen und Computer, hat eine eigene Übersetzungsfirma und jahrelang mit Firmen wie Siemens, Daimler, VW oder DATEV zusammengearbeitet. Nun möchte er mit Sprach- und Translationstechnologie die Universität Germersheim zukunftsfähig machen. Anna Kiefer sprach mit dem neuen Leiter des Arbeitsbereichs Allgemeine und Angewandte Sprachwissenschaft sowie Translationstechnologie (ASTT) über aktuelle Entwicklungen und seine Pläne für den Fachbereich.
Was versteht man unter Sprachwissenschaft?
Sprachwissenschaftler sind Leute, die sich – wie der Name schon sagt – wissenschaftlich mit Sprache beschäftigen. Zunächst allgemein: Was ist Sprache? Und dann speziell sprachbezogen: Was ist das Besondere an verschiedenen Sprachen wie zum Beispiel Englisch oder Deutsch? Wie sprechen wir, wie formulieren wir, wie bilden wir Sätze? Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen werden anschließend systematisiert und klassifiziert und man versucht damit, das Phänomen Sprache besser verständlich zu machen. Ich vertrete dabei sowohl die Allgemeine als auch die Angewandte Sprachwissenschaft.
Sie stammen aus Miltenberg in Unterfranken, haben in Frankfurt, Saarbrücken, Moskau und Dublin studiert, in Saarbrücken und zuletzt in Flensburg gelehrt … wie sind Sie im vergleichsweise kleinen Germersheim gelandet?
Ich wurde am 26. März diesen Jahres hierher berufen. Das erste halbe Jahr bin ich von Germersheim nach Flensburg gependelt und insgesamt circa 48 Mal mit dem Zug durch ganz Deutschland gefahren, bevor ich im Oktober mit meiner Frau in die Pfalz gezogen bin. An der Ostsee habe ich mich sehr wohlgefühlt – wir haben in Glücksburg gewohnt, ich konnte auf der Förde segeln … Aber Germersheim als ehemals größte Ausbildungsstätte für Dolmetscher und Übersetzer weltweit war natürlich extrem reizvoll. Zwölf verschiedene Sprachen, die man in Germersheim aktiv erlernen kann, das gibt es nirgendwo sonst! Germersheim ist wirklich toll! Das Einzige, was meines Erachtens fehlt, ist der Anschluss an die aktuelle Entwicklung im Technologiebereich. Das muss sich unbedingt ändern. Wir müssen zusehen, dass wir Germersheim diesbezüglich so attraktiv machen, dass die Studenten trotz des angeblichen Standortnachteils hierherkommen.
Haben Sie da bereits konkrete Pläne?
Ich würde den Fachbereich gern technologisch so stärken, dass Germersheim wieder mitreden kann, was die Translations- und Sprachtechnologie angeht. Der Übersetzerstudiengang der Universität Leipzig ist zum Beispiel technologisch wesentlich besser ausgestattet, die Fachhochschulen Köln und Karlsruhe ebenfalls. Dafür brauchen wir eine Hard- und Softwareausstattung, die den modernen Übersetzerarbeitsplatz realistisch nachbildet. An diesem Projekt wird zurzeit mit Hochdruck gearbeitet. Es ist beabsichtigt respektive beantragt, dass wir im nächsten Jahr neue Computer, einen zusätzlichen Schulungsraum und die entsprechende Software beschaffen. Außerdem möchte ich hier so etwas wie ein „Kompetenzzentrum Translationstechnologie“ aufbauen. So etwas gibt es in Europa bisher noch nicht – und Germersheim wäre meines Erachtens der ideale Ort dafür.
Wie würde ein solches Kompetenzzentrum aussehen?
Als Kompetenzzentrum Translationstechnologie wäre Germersheim Ansprechpartner für Industrie, Sprachdienstleister und Hochschulen, eine Art Forum in diesem Bereich. Schließlich gibt es eine Sprachenindustrie – und nur dann, wenn wir mit ihr Kontakt halten, können wir wissen, welche Erwartungen an die Ausbildung gestellt werden.
Ist die Nachfrage nach Übersetzungsdienstleistungen tatsächlich so groß?
Es gibt eine Studie der EU von 2009, die zeigt, dass das Volumen an notwendigen Übersetzungen innerhalb der EU in den nächsten Jahren exponentiell steigen wird. Man kann selbstverständlich und auch gut vom Übersetzen leben! Aber man braucht eben gewisse Kernkompetenzen in verschiedenen Bereichen, und einer davon ist ganz klar der technologische.
Sie selbst waren über zehn Jahre lang am Saarbrücker Institut der Gesellschaft zur Förderung der Angewandten Informationsforschung e.V. (IAI) tätig und haben dort unter anderem linguistische Software für namhafte Wirtschaftsunternehmen mitentwickelt. Was hat Sie dazu bewogen, die Arbeit in der Industrie gegen die Uni einzutauschen?
Entwicklungen in der Industrie sind immer vom Kunden abhängig – wenn der etwas nicht will, entwickelt sich das auch nicht weiter. Das ist an der Hochschule anders. Hier möchte ich die Studierenden auch in reale Forschungsprojekte miteinbinden – den Bezug zur Praxis finde ich extrem wichtig. Forschung angewandt zu sehen, ist etwas Tolles, und es ist keineswegs so, dass ich mich mit der Professur in Germersheim für die Uni und gegen die Sprachenindustrie entschieden habe. Nein, ich bin nach wie vor in beiden Welten zuhause und zum Beispiel nebenher immer noch als wissenschaftlicher Berater für das IAI tätig.
Wie werden Sie den Praxisbezug zur Lehre herstellen?
Ich möchte insbesondere sogenannte Projektseminare anbieten, in denen ich mich mit konkreten Forschungsfragen und Problemen aus dem Übersetzeralltag beschäftige. In meiner Zeit in Flensburg habe ich beispielsweise Übersetzungsaufträge aus dem wahren Leben in einer simulierten Übersetzungsfirma mit den Studenten bearbeitet: Einer ist Projektmanager, einer ist der Terminologiemanager, einer ist der Lektor und einer kommuniziert mit dem Auftraggeber, der in diesem Fall ich selbst bin. Und dann geht es los! So haben wir beispielsweise ein computertechnisches Manual für ein großes Softwareunternehmen aus Salt Lake City übersetzt, mit Live-Schaltung per Skype nach Utah. das ist extrem spannend und sehr lehrreich. Selbstverständlich darf man aber mit solchen Veranstaltungen nicht in Konkurrenz zum freien Markt treten.
Ist die Technologiekompetenz der „Generation Internet“ tatsächlich so gut, wie immer behauptet wird? Kann man damit arbeiten?
Es ist mitnichten so, dass die Generation Internet die Technikkompetenz automatisch mitbringt. Ich bemerke bei den Studierenden auch weniger Respekt vor Technologie, weil jeder überall alles einfach benutzt. Wenn ich zum Beispiel sehe, was Studenten machen, wenn irgendwo ein Stecker nicht hineinpasst … Unglaublich! Dem muss man definitiv entgegenwirken. Andererseits ist es aber auch notwendig, das teilweise an der Universität bei den Dozierenden vorhandene Misstrauen und die Zurückhaltung gegenüber Technik schrittweise abzubauen.
Alles in allem muss Germersheim sich also ranhalten, was die aktuelle Entwicklung angeht?
Eindeutig, ja. Die technologischen Kompetenzen, die man heutzutage braucht, um auf dem Übersetzermarkt erfolgreich zu sein, müssen in Germersheim intensiver vermittelt werden. Das hohe Ausbildungsniveau, das Germersheim bei den Sprachkompetenzen hat, muss auch für technologische Kompetenz gewährleistet sein. Germersheim hat immer noch einen sehr guten Ruf – aber man darf sich nicht zu sehr darauf ausruhen.
Autorin/Urheberrecht: Anna Kiefer
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