„Sie sind wichtige Botschafter. Die Welt braucht Sie.“
Thema: | Dolmetschen |
Umfang: | 3545 Zeichen |
Geeignet für: | Referenzartikel |
Bereits erschienen in: | Die Rheinpfalz, 2015 |
Was wären die Staats- und Regierungschefs dieser Welt ohne ihre Dolmetscher? Einer davon ist Dr. Witold Skowroński, einer der angesehensten polnischen Konferenzdolmetscher. Seine Wichtigkeit ist unbenommen, sein Name jedoch weitgehend unbekannt. Umso berühmter sind seine Klienten: Der Mann im Hintergrund hat unter anderem Papst Johannes Paul II, den Dalai-Lama, polnische Präsidenten wie Lech Wałęsa und Lech Kaczyński sowie ihre amerikanischen Amtskollegen George Bush, George W. Bush und Bill Clinton gedolmetscht. Nun steht er in einem kleinen Hörsaal im Neubau des FTSK Germersheim und erzählt von seiner Arbeit.
Rund 60 Studierende sowie Dozenten des Fachbereichs Polnisch hören aufmerksam zu. Es ist so still wie sonst nur selten während eines Vortrages, und dennoch ist die Atmosphäre angenehm und entspannt. Manchmal unterstreicht Skowroński seine Ausführungen mit Gesten – ob bewusst oder unwillkürlich ist nicht ersichtlich. „Wenn Sie es nicht schaffen, auch mal acht Stunden auf die nächste Mahlzeit zu warten – vergessen Sie den Job. Sie dolmetschen auch während des Essens für Ihren Präsidenten, sind immer an seiner Seite,“ erzählt Skowroński.
Dass es auch auf höchster Ebene immer wieder zu Pannen kommen kann, lässt er dabei nicht aus: „Es kommt vor, dass Dolmetscher sozusagen ‚verloren gehen‘, wenn sie beispielsweise bei einem Staatsbesuch in einem anderen Auto untergebracht werden als der Präsident.“ Einmal habe er im Weißen Haus in Washington keine Dolmetscherkabine vorgefunden, sondern nur einen Tisch mit Kopfhörern; im Buckingham Palace musste er spontan ein Zimmer teilen, weil keines mehr frei war. Von solchen unvorhergesehenen Ereignissen lässt sich der aus Poznań (Polen) stammende Freiberufler jedoch nicht aus der Ruhe bringen – man merkt ihm an, dass ihm sein Beruf Spaß macht.
Seinen Vortrag hält er im Rahmen eines wissenschaftlichen Austauschprogramms zwischen den Universitäten: Der Arbeitsbereich Polnisch lud ihn als ERASMUS-Gastdozenten ein. Skowroński hat zwar nicht in Germersheim, sondern in Poznań studiert, fühlt sich in Germersheim jedoch „immer sehr zuhause, auch weil ich hier alte Freunde wiedersehe.“ Neunzig kurzweilige Minuten lang spricht er über Sicherheitsvorkehrungen und Dresscodes (Kleiderordnungen), zeigt Fotos von zahlreichen Reisen und internationalen Konferenzen und gibt wertvolle Tipps für zukünftige Dolmetscher. Ob es auch einmal eine Dolmetschsituation gegeben habe, in der er gar nicht mehr weitergewusst habe, möchte eine Studentin wissen. „Natürlich“, antwortet Skowroński und erzählt dazu eine Anekdote, die er mit dem ehemaligen polnischen Präsidenten Lech Wałęsa (1990 – 1995) erlebt hat:
„Bei einem Staatsbesuch in Japan erklärte Wałęsa in einer Rede, dass Polen zwar ein kommunistisches Land, die Leute im Herzen aber alles andere als kommunistisch seien. Dabei verglich er Polen mit einem Radieschen, das außen rot und innen weiß ist. Solche Radieschen sind in Japan jedoch völlig unbekannt; die Metapher funktionierte in diesem Kontext nicht. Also musste ich mir innerhalb von Sekundenbruchteilen etwas einfallen lassen, das ebenfalls außen rot, innen weiß und in dem Kulturkreis bekannt ist. Ich entschied mich für Shrimps, und die Japaner applaudierten bei dem Vergleich.“ Trotz solch genialer Einfälle tritt Skowroński souverän, vor allem aber bescheiden auf und wirkt damit auf Anhieb sympathisch. Bevor er sich verabschiedet, macht er den Studierenden Mut: „Sie sind wichtige Botschafter, Sprachmittler. Die Welt braucht Sie.“
Autorin/Urheberrecht: Anna Kiefer
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